Die Stadt Gelnhausen nennt sich heute stolz „Barbarossastadt“. Und dies zu Recht, verdankt sie diesem ersten Kaiser aus staufischem Hause doch ihre eigentliche Gründung im Jahre 1170. Dass der Ortsname Gelnhausen selbst bereits im Jahr 1133 in einer Mainzer Urkunde als Beiname eines Edlen mit dem Namen Dietrich bezeugt ist, ist der Wissenschaft nicht verborgen geblieben. Schon vor rund 200 Jahren wurde dieser Mann folgerichtig der Verwandtengruppe der „Grafen von Selbold-Gelnhausen“ zugeordnet, deren erstes belegtes Mitglied Dietmar 1108 das Stift Selbold gegründet hatte, welches bis zu seiner Aufhebung im Jahr 1543 bedeutende Rechte in der Stadt Gelnhausen ausübte, die ihren imposantesten Ausdruck bis heute in der Marienkirche finden.
Da nur insgesamt vier Urkunden der Jahre 1108, 1109, 1133 und 1151 zweifelsfrei männlichen Mitgliedern dieser Verwandtengruppe zugeordnet werden konnten, blieb deren Herkunft und politische Stellung zweifelhaft. Die Forschung zu dieser Gruppe bildete somit ein Desiderat, mit welchem zwei grundsätzliche Fragen zur Geschichte Gelnhausens verbunden waren. Erstens die Frage nach der Lage ihrer Burg und zweitens die Frage nach dem letzten Besitzer dieser Burg, der diese 1158 an das Erzbistum Mainz veräußerte.
Der Autor war dem Verein durch die Bearbeitung der Selbolder- und Gelnhäuser Regesten bekannt. Somit war es naheliegend, auch die Bearbeitung der vorliegenden Publikation zu unterstützen, da sich dadurch neue Erkenntnisse zur Geschichte Gelnhausens vor der eigentlichen Stadtgründung gewinnen ließen. Dies erschien umso mehr geboten, als in Zeiten des Internets auch von der Fachwelt zurückgewiesene Thesen anderer Forscher zur Herkunft dieser Grafenfamilie rasante Verbreitung in regional- und landesgeschichtlich interessierten Kreisen gefunden haben.
Dietmar von Selbold, 1158 nach seinem Tod auch als Dietmar von Gelnhausen bezeichnet, entstammte nicht dem hiesigen Raum, sondern einer im Länderdreieck Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen wurzelnden westfälisch-sächsischen Verwandtengruppe, die sich bereits im 10. Jahrhundert im Gefolge der Ottonen und mit diesen eng verbundenen geistlichen Würdenträgern nachweisen lässt. Im Laufe des 11. Jahrhunderts führten verwandtschaftliche Beziehungen diese Gruppe gemeinsam mit anderen Westfalen in das Umfeld der Reichsabteien Hersfeld und Fulda, die während der Sachsenkriege und des heraufziehenden Investiturstreites am salischen Herrscherhaus festhielten. Dass Dietmar Hersfeld 1075 als Untervogt diente, dürfte den Weg dahin geebnet haben, dass Kaiser Heinrich IV. ihm neben der schon länger im Besitz von Dietmars Sippe befindlichen Grafschaft an der Eder auch eine auf ehemaligen Reichsgütern beruhende Rodungsgrafschaft an der Kinzig übertrug. Dabei bildete das Stift Selbold einen geistigen Mittelpunkt, wogegen die an der Stelle der heutigen Kaiserpfalz gelegene Burg das politische Zentrum dieser neuen Grafschaft gebildet haben dürfte. Am Ende des 11. Jahrhunderts stand Dietmar in engem Kontakt zu Erzbischof Ruthard von Mainz und fand spätestens zu diesem Zeitpunkt Anschluss an dessen gegen Heinrich IV. gerichteten politischen Kreise, zu denen Ludwig der Springer gehörte, dessen Hauskloster Reinhardsbrunn Dietmar 1109 mit Gütern seiner verstorbenen Frau Adelheid bedachte. Über Ruthards Verwandte aus der Gruppe der Embrichonen gelangte Dietmars Stiftsgründung in Selbold an umfangreiche Güter im Rheingau.
Für Gelnhausen wirkte sich negativ aus, dass Dietmar keinen direkten männlichen Erben hinterließ und die Tatsache, dass seine über seine mutmaßliche Tochter Gisela zustande gekommene Verwandtschaft mit dem Hause Saarbrücken ihn in Konfrontation mit Heinrich V., dem letzten Salier, führte. Dass Selbold und Gelnhausen im Rahmen der zwischen dem Kaiser und Erzbischof Adalbert I. von Mainz aus dem Hause Saarbrücken ausgetragenen Kämpfe in Mitleidenschaft gezogen wurden, macht der Selbolder Pfennigfund wahrscheinlich. Giselas Sohn Dietrich aus einer ersten Ehe konnte die Nachfolge seines Großvaters an der Kinzig durch Vermittlung seines Onkels Adalbert I. antreten, der über gute Beziehungen zu Kaiser Lothar III. verfügte. Dass Dietrichs Halbbruder Adalbert II. ihrem Onkel auf dem Thron des Mainzer Erzbistums folgte, war für Dietrich sicher von Vorteil. Egbert, ein weiterer Sohn Giselas, wurde erster Graf von Tecklenburg. Dazu kam, dass Dietrichs Halbschwester Agnes mit dem Bruder des ersten staufischen Königs Konrad III. vermählt wurde, Barbarossas Vater. So verwundert es nicht, dass Konrad III. im Jahr 1143 dem Stift Selbold reichslehnbare Zehnte in Selbold übertrug. Einen vagen Hinweis auf ein Engagement Konrads III. in Gelnhausen selbst bildet die Erwähnung des Jahres 1144 als Gründungsjahr der Pfalz in einem Memorial der Gelnhäuser Burgmannen aus dem 18. Jahrhundert.
Der im Jahr 1151 belegte Egbert von Gelnhausen war der Letzte seines Geschlechts und verstarb jung. So war es wohl der jüngste Sohn Giselas, Simon von Saarbrücken, der die Gelnhäuser Burg an das Erzbistum Mainz veräußerte und damit indirekt dem Haus der Staufer die Möglichkeit eröffnete, anstelle der alten Siedlung eine Stadt und an Stelle des alten „Castrum“ seiner Vorfahren eine Pfalz zu errichten.
Die staufische Epoche Gelnhausens reichte von 1170 bis längstens 1254, als Konrad IV. in Italien verstarb. Bedenkt man, dass Dietmar die Grafschaft an der Kinzig um das Jahr 1080 erhalten haben dürfte und seine Familie dieselbe bis mindestens 1151 innehatte, so wird klar, dass diese Epoche, auch wenn sie nicht so gut wie die der Staufer durch erhaltene Archivalien aufgearbeitet werden kann, für die Geschichte Gelnhausens doch einen ausgesprochen formativen Charakter hatte, der durch die vorliegende Arbeit erstmals eine entsprechende Würdigung erfahren hat.
Der Verein dankt dem Verlag erneut für die gute Zusammenarbeit und verbindet mit der Vorlage dieser Arbeit die Hoffnung, dass auch die landesgeschichtliche Forschung die vorgetragenen Thesen des Autors aufgreifen und diskutieren wird. Denn als Diskussionsgrundlage wollen Verein und Autor das Werk verstanden wissen.
Der Vorstand des Geschichtsvereins Gelnhausen e. V.
Stefan Horst (1. Vorsitzender)